Spiegelung 1

Spieglein, Spieglein an der Wand…

Jeder von Ihnen, der schon mal versucht hat, spiegelnde Oberflächen darzustellen, müßte das Problem kennen: Was sieht man in einer Spiegelfläche, wenn deren Lage, der Standpunkt des Betrachters und der Vordergrund vor der Spiegelfläche bekannt sind? Was sind die Grundregeln, die Spiegelung ausmachen?

Relativ einfach ist die Lösung, wenn man ein Originalmodell des spiegelnden Gegenstandes hat und dieses zum Beispiel fotografisch abbilden kann. In solch einer Fotovorlage lassen sich ziemlich problemlos kleine Änderungen und Korrekturen vornehmen.

Eine weitere Methode, das Problem anzugehen, besteht darin, sich irgendeinen spiegelnden Gegenstand zu besorgen und durch Experimente die Lage von Auge, Spiegeloberfläche und abzubildendem Punkt nachzustellen. Die so gewonnenen Erkenntnisse überträgt man dann in die eigene Illustration.

Beide vorgenannten Arbeitsweisen haben jedoch den Nachteil, dass sie sich eben nicht jedesmal anwenden lassen. Und natürlich sind die Ergebnisse immer nur so genau, wie Ihre Versuche, die dazu geführt haben.

Im heutigen Beitrag möchte ich Ihnen die theoretischen Grundlagen aller Spiegelungen an die Hand geben, mit denen Sie Ihre späteren Experimente nach den genannten Methoden absichern können.

Gerade bei spiegelnden Oberflächen beruht der größte Nachteil auf der Tatsache, dass alle Reflexe richtig gesetzt werden. Wenn Sie sich einigermaßen mit der Theorie auskennen, wird Ihnen die Darstellung hochglänzender Objekte von Mal zu Mal leichter fallen. Damit wir uns nun aber nicht falsch verstehen, möchte ich mit einem Zitat aus Goethes Faust in das folgende Kapitel überleiten:

„Grau, teurer Freund, ist alle Theorie und grün des Lebens Baum”. Will sagen: Theorie und Praxis sollte man beherrschen, um optimale Ergebnisse zu erzielen! In den kommenden Ausgaben der Airbrush-Zeitung werde ich darum mehr auf die Praxis, bzw. die Verbindung zwischen Theorie und Praxis eingehen.

Einfallswinkel ist gleich Ausfallswinkel

Für alle Spiegelungen ist dies der wichtigste Lehrsatz. Ihn einigermaßen zu erklären, zwingt mich, etwas weiter auszuholen. Um niemanden – vor allem mich selbst nicht – zu überfordern, werde ich jedoch so stark verallgemeinern und vereinfachen, wie es fürs Verständnis gerade noch möglich ist.

Licht besteht aus, von einem strahlenden Körper ausgesandten, elektromagnetischen Wellen, die sich nach allen Seiten gleichmäßig und geradlinig ausbreiten. Es bildet sich ein sogenanntes Strahlenbündel.

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Abbildung 1Zur Erklärung unseres Lehrsatzes über Ein- und Ausfallswinkel müssen wir – rein theoretisch – einen einzelnen Strahl aus einem solchen Bündel herausfiltern. (Abb. 1)

Dieser eine Lichtstrahl wird uns durch die gesamte Spiegelungstheorie begleiten. Ihn sich vorstellen zu können, ist Voraussetzung, um das Folgende zu verstehen.
Gestatten Sie mir an dieser Stelle einen kurzen Exkurs in die Aufgaben der Illustration. Sie wird meist dort eingesetzt, wo andere Techniken, wie die Fotografie oder das Modell, versagen. Sie soll Inhalte und/oder Zusammenhänge verdeutlichen.

Eine gute Illustration zeichnet sich dadurch aus, dass der Betrachter ohne wenn und aber diese Inhalte und/oder Zusammenhänge versteht. Optimal wäre eine Darstellung ohne jeglichen Fehler. Dies ist leider nur sehr selten zu verwirklichen – aber Sie werden mir zugeben: je näher wir diesem Idealbild kommen, desto besser.

Jeder Illustrator sollte sich daher die größte Mühe geben, so wenige Fehler wir möglich zu machen. Natürlich tun das die meisten – doch den wenigsten gelingt es. Theoretische Grundlagenkenntnisse sind ein großer Schritt auf dem Weg zur Perfektion. Von allen Kollegen, die ich kenne, sind die am weitesten gekommen, die diesen sicherlich mühsamen Schritt auf sich genommen haben.

Schwache Illustrationen werden meist nur gefühlsmäßig als schwach eingestuft. Der Grund dafür sind oft logische Fehler im Aufbau – ohne genau sagen zu können, was daran stört. Solche Fehler können Sie vermeiden! Das einzige, was Sie dafür tun müssen: Eignen Sie sich viel theoretisches Wissen an und kontrollieren Sie damit Ihre Arbeiten.

Zurück zu unserem Problem und unserem Lehrsatz. In der Abbildung 2 habe ich einen kleinen Versuch aufgebaut. Auf einer Scheibe, die in Winkelgrade aufgeteilt ist, wurde genau in 90-Grad-Richtung ein kleiner Spiegel befestigt. Die Spiegelfläche selbst steht senkrecht zur Scheibenebene.

Mit Hilfe einer einfachen Schlitzblende wurde dann aus einem breiten Lichtkegel eines Scheinwerfers ein möglichst schmales Strahlenbündel herausgefiltert und genau auf den Mittelpunkt der Scheibe gerichtet. Der Spiegel reflektiert den Strahl. Der Winkel zwischen dem einfallenden Strahl und dem Lot auf der Spiegelfläche in dem Punkt, wo der Strahl auftrifft, ist der Einfallswinkel. Und der Winkel zwischen dem Lot und dem reflektierten Strahl ist der Ausfallswinkel.

An der Gradeinteilung auf der Scheibe können wir nun ablesen, dass der Einfallswinkel genauso groß ist wie der Ausfallswinkel. Damit haben wir für unsere Zwecke das sogenannte „2. Reflexionsgesetz” bewiesen. In der Abbildung 2 können wir auch das „1. Reflexionsgesetz” erkennen: Einfallender Lichtstrahl, Lot im Auftreffpunkt und ausfallender Lichtstrahl liegen in einer Ebene, im Bild die Scheibenebene.

Abbildung 3Von oben betrachtet und grafisch vereinfacht sieht das Ganze so aus wie in Abbildung 3.

Als Arbeitsbeispiel habe ich einen einfachen metallischen Buchstaben wie in unserer Rubrik Tutorials (früher: “Die Seiten zum Nachmachen”) ausgewählt. Wenn Sie also Lust bekommen, können Sie versuchen, die theoretischen Grundlagen gleich anzuwenden.

Abbildung 4Verdeutlichen wir uns doch zuerst einmal die genaue Lage von Motiv, Lichtquelle und Betrachter. In der Abbildung 4 sehen Sie eine Skizze, die Ihnen die Situation verdeutlichen soll. Um mit geometrischen Gesetzen zu arbeiten, muss die Darstellung jedoch wesentlich präziser sein. Darum das Ganze nochmal im Querschnitt (Abb. 5).

Abbildung 5Wir gehen davon aus, dass der Buchstabe aus einem hochglänzenden, spiegelnden Material bestehen soll. In unserem Beispiel könnte dies Chrom sein. Damit wir Farbe richtig einsetzen, muss man sich vor Beginn einer Illustration über die Materialbeschaffenheit ganz klar werden. Chrom zum Beispiel hat im Grunde keine sichtbare Eigenfarbe – besonders dann nicht, wenn die Oberfläche spiegelblank poliert ist. Darum bilden sich Farben der Umgebung ohne jede Veränderung ab. Natürlich kann man, wie wir’s auch getan haben, durch die Wahl der Farbe den Materialcharakter unterstreichen.

Blau wird immer mit Technik, Metall oder Glanz in Verbindung gebracht. Es ist die Farbe des Himmels, der sich spiegelt. Am Himmel soll auch unsere Lichtquelle stehen, die Sonne. In einem späteren Beitrag gehen wir übrigens nochmal intensiv auf Wellenlänge und Farbe des Lichts ein. Auch die psychologische Wirkung von Farben werden wir dann abhandeln. Wir jedenfalls haben Blau als Grundfarbe unseres Buchstabens gewählt, um den metallischen Charakter zu unterstreichen.

Ehe wir anfangen, die eben gelernte Theorie in die Praxis umzusetzen, erlauben Sie mir noch eine Bemerkung zu spiegelnden Oberflächen. Sie wirken besonders dann hochglänzend, wenn extrem starke und sehr scharf begrenzte Kontraste verwendet werden. In unserem Beispiel haben wir an einigen Stellen ein fast schwarzes Blau neben das Weiß des Kartons gesetzt Wenn Sie mal darauf achten, werden Sie feststellen, dass eben diese Technik die Glanzwirkung noch verstärkt.

Doch nun genug der allgemeinen Vorbemerkungen und „in medias res”. In der Querschnittzeichnung (Abb. 5, oben) treffen wir unser Ausgangsproblem: Was sieht man an welcher Stelle einer spiegelnden Oberfläche, wenn ihre Lage und der Standpunkt des Betrachters gegeben sind?

Abbildung 6Zum leichteren Verständnis werden wir jetzt das Problem auflösen in einzelne Problemchen. Wir gehen also Schritt für Schritt vor. In der Abbildung 6 sehen Sie nur eine einzige spiegelnde Fläche und den Betrachter selbst. Alles wieder im Querschnitt.

Die Antwort auf die Frage von oben ist die gesuchte Lösung. Wie gehen wir aber nun vor, um diese Antwort zu finden? Nun, zuerst einmal zeichnen wir ein, unter welchem Winkel die Sehstrahlen – die übrigens nicht anders zu behandeln sind wie Lichtstrahlen – vom Betrachter aus auf die spiegelnde Oberfläche einfallen. Rein theoretisch müssten wir eine unendliche Anzahl von Strahlen zeichnen, ein Strahlenbündel wie in Abb. 1. Um unser Problem zu klären reicht jedoch, wenn wir nur die Grenzstrahlen verwenden.

Als Grenzstrahlen bezeichnen wir die beiden Sehstrahlen, die an die linke und rechte Kante der spiegelnden Oberfläche treffen. In dem Punkt, wo sie auftreffen, errichten wir im nächsten Schritt jeweils ein Lot auf der Spiegelfläche. Der Winkel zwischen Sehstrahl und Lot ist der Einfallswinkel.

Der eine oder andere von Ihnen wird sich sicher jetzt fragen, warum der Einfallswinkel nicht zwischen der spiegelnden Fläche und dem Sehstrahl gemessen wird. Die Antwort darauf ist recht einfach: Nicht immer ist eine Reflexionsfläche auch gerade. Bei gekrümmten Oberflächen wie einer Kugel oder einem Zylinder ist es leichter, in dem Punkt, wo ein Lichtstrahl auftritt, eine Senkrechte zu errichten und an dieser Senkrechten den Einfallswinkel zu messen. Darum hat man sich in der Physik darauf geeinigt, Einfallswinkel immer am Lot im Auftreffpunkt zu messen.

Zurück zu unserem Lösungsweg. Wenn wir den Einfallswinkel kennen, können wir auch den Ausfallswinkel konstruieren. Laut dem 2. Reflexionsgesetz sind sie ja gleich groß. Mit Zirkel und Lineal, wenn’s ganz genau sein soll oder mit einem einfachen Geodreieck mit Winkelmesser, wenn’s nicht so drauf ankommt, übernehmen Sie die Einfallswinkel der beiden Sehstrahlen und tragen sie auf der anderen Seite des Lotes an.

Abbildung 7Es ergeben sich reflektierte Sehstrahlen, innerhalb derer der Bereich liegt, der sich in der Spiegelfläche abbildet. (Abb. 7)

Wenn wir jetzt diese Kenntnis auf unseren Buchstaben anwenden, sieht das Ganze im Querschnitt so aus wie in Abbildung 8 (unten).

Abbildung 8Wie Sie unschwer feststellen können, befindet sich der Betrachter ebenfalls in dem Bereich, der sich in der Oberfläche des Buchstabens spiegelt. Dies genau ist häufig das Problem der Fotografen, die glänzende Gegenstände aufnehmen sollen. Meistens ist an irgendeiner Stelle die Kamera zu sehen. Und dann zeigen sich die Vorteile der Illustration: sie setzt dort ein, wo die Fotografie aufhört.

Nachdem wir nun festgestellt haben, welche Bereiche des Hintergrundes und der Umgebung sich in dem zu illustrierenden Buchstabens spiegeln, können wir darangehen, die Darstellung zu realisieren.

Das vorläufig letzte, aber für die Wirkung der Illustration sehr wichtige Problem, ist die Lage der Lichtreflexe. Um dieses Problem zu lösen, müssen wir umgekehrt vorgehen. Wir zeichnen in den Querschnitt die einfallenden Lichtstrahlen ein und konstruieren ihren Reflexionsstrahl. Also nicht vom Betrachter ausgehen, sondern von der Lichtquelle.

Per Definition fällt Sonnenlicht bekanntlich parallel ein. Deshalb arbeiten wir mit einer Schar von parallelen Geraden. Suchen müssen wir nach reflektierten Strahlen, die in Richtung des Betrachters gehen.

Abbildung 9Abbildung 10Nur diese kann nämlich der Betrachter auch sehen! Bei unserem Buchstabenbeispiel ist dies recht einfach festzustellen. Es gibt nur eine einzige Stelle, die diese Bedingung erfüllt (siehe Abb. 9+10).

Es ist die Kante zwischen Oberfläche und Facette. Je breiter Sie nun die Lichtkante stehen lassen, desto runder wird diese Kante wirken. Oder andersrum: je schmaler die Lichtkante wird, desto scharfkantiger wirkt sie. Beim Spritzen lassen wir solche Lichtkanten bis zum Schluss zugeklebt. Wir arbeiten mit dem Weiß des Illustrationskartons, um Wirkung zu erzielen. Diese Regel hat zwar mit unserem Generalthema „Spiegelungen” nicht direkt zu tun, doch sollten sie so gut wie möglich versuchen, sie zu beherzigen. Lediglich überstrahlende Lichtreflexe werden nachträglich mit deckendem Weiß aufgesetzt.

Diese überstrahlenden Reflexe sollen für heute den Abschluss unseres Ausfluges in die Theorie bilden. Auch für sie gibt es ein paar Regeln, die meiner Erfahrung nach einfach zu selten beherzigt werden. Damit auch Sie zukünftig zu denen gehören, die überstrahlende Lichtreflexe „richtig“ darstellen, verrate ich jetzt diese Regeln.

Abbildung 11Das Allerwichtigste ist, dass diese Reflexe nicht zu kompakt angelegt werden. Der Betrachter darf sie lediglich ahnen. In der Abbildung 11 sehen Sie ein Beispiel dafür, wie es nicht gemacht werden sollte.

Abbildung 12Auch nachdem diese Reflexe aufgespritzt worden sind, muss man die darunterliegenden Teile der Illustration noch gut erkennen können. Am Beispiel eines kreisförmigen Überstrahlungsreflexes möchte ich das demonstrieren. Angenommen die Gesamtfläche der aufgespritzten weißen Farbe hat einen Durchmesser von 20 mm, dann darf der deckende Teil lediglich etwa 2 mm ausmachen, also den zehnten Teil. Die nächste Abbildung zeigt den Unterschied zwischen richtig und falsch (siehe Abb. 12).

Genug für diesmal! In der nächsten Folge „Spiegelnde Oberflächen” werde ich Ihnen erklären, wie mit Hilfe der Perspektive das Thema „Spiegelungen” auf noch sicherere Füße gestellt werden kann.

Bis dahin haben Sie dann wahrscheinlich – oder hoffentlich – auch schon eigene Erfahrungen sammeln können. Vielleicht sind Ihre Trainingsarbeiten auch schon so gut, dass sie für die Rubrik „Lesergalerie” geeignet sind? Auf jeden Fall sollten Sie kräftig üben. Immerhin ist das eine der sogenannten „Binsenwahrheiten”: Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen.